Vertrieben - und vergessen? Pommern in der deutschen und europäischen Geschichte

Seit einigen Jahren erfreut sich das Thema „Vertreibung der Deutschen aus den historischen Siedlungsgebieten Mittel- und Osteuropas" neuer Beachtung durch die Öffentlichkeit. Ausgelöst durch eine vermehrte Aufarbeitung durch Wissenschaft und Forschung werden verschiedene Aspekte der Vertreibung zumeist in einem gesamteuropäischen Kontext analysiert und dargestellt. Besonders starke öffentliche Resonanz erfuhr hierbei das Projekt Erzwungene Wege des Bundes der Vertriebenen, der die deutsche Vertreibung in den Gesamtkontext des 20. Jahrhundert der Vertreibungen einbettete und sich durch die Darstellung als Wanderausstellung breiten Teilen der Bevölkerung öffnete.

 

Leider verlor die Darstellung durch das Konzept der Einbettung in den europäischen Kontext den Blick auf das Schicksal der einzelnen deutschen Volksgruppen. Die Ostpreußen erlitten ein anderes Schicksal als die Sudetendeutschen. Flucht und Vertreibung der Schlesier war nicht vergleichbar mit jener der Banater Schwaben. Schließlich blieb auch das Vertreibungsschicksal der Pommern nur eine Fußnote im
makrohistorischen Ansatz der Erzwungenen Wege. Der Heimatpolitische Arbeitskreis der Landsmannschaft der Pommern in Nordrhein-Westfalen wollte daher einen genaueren Blick auf die Vertreibung der eigenen Landsleute möglich machen. Es entstand die Idee, die Vertreibung der Pommern zusätzlich zu den bereits existierenden Vertreibungsdokumentationen zu präsentieren und als ein Element unter den Vertreibungsverbrechen in ihrer Gesamtheit darzustellen.

 

Es wurde eine Projektskizze entworfen, die der Zielvorgabe des Heimatpolitischen Arbeitskreises, dem Votum der Bundesdelegiertentagung und dem Auftrag des Bundesvorstandes der Pommerschen Landsmannschaft entsprach. Diese Projektskizze hat zwei grundsätzliche Zielvorgaben zu erfüllen, welche bislang bei den bestehenden Projekten nicht genügend Berücksichtigung fanden. Zum einen soll das individuelle Schicksal der Vertriebenen mehr in den Fokus der Betrachtung gerückt werden. Zum anderen soll die Vertreibung nicht als singuläres Ereignis am Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern als Höhepunkt einer Entwicklung im gesamthistorischen Kontext erkannt werden, ohne allerdings revanchistischen, revisionistischen oder relativierenden Strömungen von deutscher oder polnischer Seite nachzugeben.

 

 

Dreigeteiltes Projekt

 

Das Projekt soll in drei Teile untergliedert werden. Im Sinne einer genauen Einbettung der Vertreibungsvorgänge in viele Jahrhunderte pommerscher Geschichte soll zunächst ein erster Teil die pommersche Geschichte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts präsentieren. Mit den ersten Siedlungen germanischer und slawischer Volksstämme beginnend soll die Präsentation das Ringen zwischen dem einheimischen Königshaus und benachbarter Fürsten und Staaten um Anspruch auf die pommerschen Lande erörtern. Dabei gehören die Stichworte der deutschen Ostsiedlung, der Reformation und der Schwedenzeit ebenso zur Aufarbeitung wie die finale Einbettung im preußischen und deutschen Staatsverband. Das Projekt wird sich in diesem Teil am derzeitigen Stand der Geschichtswissenschaft orientieren und eng mit bestehenden Forschungseinrichtungen, wie dem Pommerschen Landesmuseum in Greifswald, kooperieren.

 

 

Vorgeschichte der Vertreibung und Vertreibungsvorgänge

 

Im zweiten und dritten Teil, welche ineinander übergehen, soll die direkte Vorgeschichte der Vertreibung durch den aufkommenden Nationalismus in Europa präsentiert werden. Deutsche Ambitionen vom neuen Siedlungsraum im Osten und der Unterdrückung slawischer Völker gehören ebenso in diese Darstellung wie polnische Träume von einem großpolnischen Reich bis zur Elbe. Die Eskalation der deutsch-polnischen Rivalitäten im Zweiten Weltkrieg mit den beiden divergierenden Zielen der Vernichtung des Polentums durch die Nationalsozialisten und dem Verdrängung des deutschen Elementes bis mindestens hinter die Oder durch die Polen stehen im Mittelpunkt dieser Vorgeschichte der Vertreibung. Dabei sollen alle Aspekte genannt und präsentiert werden, ohne Realitäten auszulassen.

 

Die Präsentation der Vertreibung der Pommern aus ihren traditionellen Siedlungsgebieten östlichen der Oder und in Stettin soll dann deutlich ausdifferenziert werden. Die Gruppe der pommerschen Vertriebenen soll in die verschiedenen Vertreibungsarten unterteilt werden. Dabei werden die über die Ostsee flüchtende Mutter ebenso berücksichtigt wie der Teilnehmer eines Landtrecks, das Bombenopfer in Swinemünde ebenso wie der zuFuß über die Oderbrücken eilende Stettiner, der heimatverbliebene Hinterpommer ebenso wie der durch Mitteleuropa irrende Orientierungslose. Die anonyme Masse der pommerschen Vertriebenen soll ersetzt werden durch eine möglichst genaue Analyse der Vertreibungsgruppe.

 

 

Einbau von Zeitzeugenberichten

 

Das Mittel der Darstellung ist die kollektive Charakterisierung der einzelnen Vertreibungsgruppen anhand wissenschaftlicher Darstellung zuzüglich zu einer Präsentation individueller Vertreibungsschicksale. Es sollen konkrete Personen anhand von Zeitzeugenberichten exemplarisch für die Vertreibungsgruppe berichten, wie ihr Weg durch das Ende der Kriegswirren aussah. Das Projekt verbindet an dieser Stelle historische Aufarbeitung mit Individualschicksal. Es wird so für den heutigen Betrachter anschaulich, weil Betroffenheit ausgelöst wird. Das Projekt versucht so den ungewöhnlichen Sprung vom großen Kontext zum individuellen Erleben. Diese Art der Aufarbeitung, oftmals auch in populärwissenschaftlichen Ansätzen bspw. in TV-Produktionen gewählt, macht die schwierige Theamtik auch für uninformierte Kreise zugänglicher.  

 

Abgerundet wird die Darstellung durch die Ankunft in den westlichen Gebieten Deutschlands und einer abschließenden Erörterung des Vertriebenenschicksals im Westen. Hierbei soll kurz der Aufbau der pommerschen Vertriebenenorganisationen Beachtung finden, aber auch der Lebensweg der Individualschicksale weiter verfolgt werden. Der Kreis soll sich schließen mit einem gesamteuropäischen Ausblick und einer gemeinsamen Prognose für ein europäisches Pommern, das Chauvinismen überwindet, Gemeinsamkeiten betont und ein gutes deutsch-polnisches Ende prophezeit.

 

 

Neuartiger Ansatz



Das Projekt besticht durch seine Ganzheitlichkeit und seinen neuartigen Ansatz. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung einer regionalen Geschichte im Herzen Europas und geht über bisherige Ansätze hinaus. Die einzelnen charakteristischen Elemente (Zeitzeugenbefragungen, genaue historische Einbettung, Integration in die Aufnahmegesellschaft etc.) machen das Projekt zu einem wichtigen Beitrag moderner europäischer Geschichtsschreibung.